17. Mai 2014

Langtang Trek: Wo die Zeit still steht


Inmitten des Himalaya Gebirges scheint die Zeit seltsam entrückt. Sie richtet sich nicht nach Stunden oder Minuten. Sie wird nicht an einem Zeiger abgelesen. Ein "In zwei Minuten kommt die U-Bahn, lass uns rennen, weil die nächste kommt erst in sieben!" wäre hier so fehl am Platz wie ein Baum auf dem Mond.



Schmetterlinge paaren sich über mehrere Tage hinweg. Sie kleben dann mit ihren Hinterleibern zusammen und krabbeln gemeinsam durch das Gras. Im Himalaya kannst du zwei Tage Schmetterlingen bei der Paarung zusehen und du hast nicht das Gefühl, gerade Zeit zu verlieren. 



Die kleinen buddhistischen Einsiedlerhöfe (Lodges) haben ihre nächsten Nachbarn in einer bis fünf Stunden Fußmarsch Entfernung. Seit Kurzem haben einige mit Solarenergie beheizte Duschen. Ein Projekt das vom Ausland gefördert wurde. 



Die meisten Lodges bieten den Wanderern Getränke und Speisen an. Auf Speisekarten, die alle genau gleich aussehen und dasselbe Menü enthalten, weil sie von einer britischen Helferorganisation erstellt wurden. Dann kannst du Porridge oder Pizza oder Chocolate Pancakes bestellen. Die Menschen hier können zum Großteil weder lesen noch schreiben. Das Rechnen, damit sie richtig abkassieren, wurde ihnen mühselig mit Fingern und Strichen von Entwicklungsorganisationen beigebracht, die den Tourismus hier fördern wollen. Wenn die nächste Dorfschule einen Tagesmarsch entfernt ist, kann man nicht zur Schule gehen. Die Kinder lernen hier andere Dinge. 



Sie wissen, zu welcher Jahreszeit sie welches Obst und Gemüse finden und was sie damit anstellen können. Wann die Kräuter wachsen und wozu sie gut sind. Sie wissen, wann der Fluss gefährlich wird und wann man auf ihm spielen kann. Etwa: Eine volle Wasserflasche auf einen entfernten Stein stellen und sie mit kleinen Steinchen zum umfallen zu bringen. 



Sie können die nepalesische Volkshymne singen. Sie wissen, wie man aus Bambus Körbe flechtet und wo die Affen wohnen. Sie stehen mit der Sonne auf und gehen mit ihren letzten Strahlen ins Bett. 

Da es keine Elektrizität gibt, ist nachts alles in tiefes Schwarz getaucht.Wenn es dunkel wird umgibt dich eine so tiefe Finsternis, dass dir bei klarer Nacht die Fülle der Sterne einen Heidenrespekt einjagen kann.





Nicht nur das Zeitgefühl ist hier ein neues, sondern auch die tiefe Ruhe. Obwohl wir in einem Gebirge waren, in dem es nur von Tieren und Insekten wimmelte, in dem alles in Bewegung und lebendig schien, umgab uns eine Ruhe die von allem widerhallte. Wir schienen an einem Ort, an dem es weder Stress noch Hektik oder Anspannung gab. Die Probleme zu Hause, die Dinge über die wir uns täglich aufregten, wirkten hier lächerlich. Und völlig unwichtig. 



Jeden Abend bauten wir nach einem langen Tag, an dem wir viele Stunden gewandert sind, unser Zelt auf und jeden morgen bauten wir es ab, packten unsere Rucksäcke und zogen weiter. Wir aßen mit zufriedenen, erschöpften Touristen in den Lodges, während die einheimischen Tour Guides und Schlepper in der Küche um den offenen Ofen saßen und Geschichten in ihrer Sprache erzählten und dabei scharfe Reisgerichte mit den Fingern aßen. Wir hielten uns die Nase auf den warmen Plumpsklos zu und probierten tibetisches Bier. Eine warme, weiße Brühe. Wir hielten nach Pandas Ausschau und freuten uns, wenn wir Affen entdeckten.



Und jeden Morgen zogen wir weiter den Berg hinauf, Richtung Langtan. Anfangs noch aufgeregt plappernd, dann immer ruhiger, bis jeder Stunde um Stunde still vor sich hin lief, mehrere Kilos auf dem schmerzenden Rücken. 



Jede Lodge wollte uns Coca Cola anbieten, oder Twix, das die vielen vielen Schlepper täglich zu Fuß auf ihrem Rücken den Berg hoch tragen. Ein Schlepper läuft von morgens bis abends. Er geht los bevor die Sonne aufgeht und kommt an, wenn es bereits Nacht ist. Meistens in völlig ausgelaufenen Plastik-Badelatschen mit mindestens 50 Kilo auf dem Rücken. Die jüngsten Schlepper sind 13, die ältesten vielleicht 30. So gelangen Nahrung, Möbel, Kleidung und Alltagsgegenstände in die entferntesten Winkel der Berge. 






Endlich am Ziel. Langtang. Auf 3475 Meter Höhe. Die Luft war dünn, die Einsamkeit greifbar und die Menschen, die hier oben lebten sonderbar scheu. Die meisten mochten keine Fotos. Sie sahen uns an, als die Eindringlinge aus einer anderen Welt, die wir waren. Die ihr Gleichgewicht aus den Fugen bringt. Die für Unruhe in ihre Ordnung sorgen. 











Am nächsten morgen drehten wir um, und gingen den ganzen Weg wieder zurück. Langweilig war das nicht. Es schien ein neuer Weg, aus einer neuen Perspektive mit lauter Dingen, die wir noch nie zuvor gesehen haben.